Schon Aristoteles hat vor 2400 Jahren in seinem Buch „Politik“ ein Entwicklungsmodell der Zusammenarbeit innerhalb der Stadtgesellschaft und in der Hauswirtschaft beschrieben. Seine Beschreibungen wende ich auf heutige Unternehmen an.
Aristoteles beschreibt verschiedene Staatsformen mit unterschiedlichen Gesetzen. Nicht jedes Gesetz sei für jede Verfassung geiegnet: „die gleichen Gesetze nützen nicht in allen Staatsverfassungen“. Er gab bei der Wahl der Staatsverfassung zu beachten, dass man nicht nur die beste Verfassung beachten sollte, sondern auch „die mögliche und in gleicher Weise noch die, die am leichtesten umsetzbar ist“. Man soll eine Verfassung einführen, zu der man sich von der bestehenden aus leicht hin entwickeln kann und an der man gemeinsam wird Anteil haben können. Daraus ergibt sich für die Organisationsentwicklung, dass es für Unternehmen nicht reicht, sich auf eine „beste“ Organisationsstruktur zu fokussieren, sondern dass man die Gesamtsituation betrachtet und Neuerungen so gestaltet, dass sie auf das Bestehende zugeschnitten sind. Auch die Betroffenen sind so einzubeziehen, dass sie gemeinsam daran Anteil haben können.
Die zur Pionierphase vergleichbare Organisationsform ist die von Aristoteles beschriebene Hauswirtschaft, in der ein Hausherr mit seinen Sklaven sein Land bestellt. Da die Hausverwaltung gemäß Aristoteles eine Beziehung von „von Natur aus Freien mit ihren Sklaven“ betrifft, bedeutet die Hausverwaltung Alleinherrschaft. Trotzdem sieht er eine „gegenseitige Freundschaft zwischen Sklaven und Herren, wenn sie von Natur aus einander wert sind“. Diese enge, freundschaftliche Beziehung zwischen Unternehmer und Mitarbeiter beschreibt auch Lievegoed. Für Aristoteles ist ein Mensch dann Sklave von Natur aus, wenn er „nur soweit Anteil an der Vernunft hat, dass er sie zwar wahrnehmen kann, ohne aber über sie zu verfügen“. Diese Situation kann für Lehrlinge gelten, die am Anfang ihrer Ausbildung stehen oder Menschen, die in eine grundlegend neue Situation kommen. Wenn diesen der Überblick und die Erfahrung zu eigenständigen Entscheidungen noch fehlt und sie auf Anweisungen angewiesen sind.
Was Aristoteles als Königsherrschaft beschreibt, ist mit der Situation eines Unternehmens in der Differenzierungsphase vergleichbar.
Eine Königsherrschaft sieht Aristoteles dann als naturgemäß an, wenn es „ein Geschlecht gibt, das seiner Tugend nach weit über alle anderen hinausragt“. In Unternehmen dieser Phase entspricht ein solches Geschlecht der Spitze der Hierarchie, deren Rolle in dieser Phase noch weit mehr Kompetenzen besitzt, als die Rolle der Mitarbeiter. Der König verfügt gemäß Aristoteles über eine Macht ähnlich jener eines „Tyrannen“, sie ist jedoch nach dem Gesetz ausgerichtet. Könige „herrschen nach Gesetz über Freiwillige, Tyrannen aber über Unfreiwillige“.
Der Unternehmer oder Chef hat in dieser Phase noch die alleinige Richtlinienkompetenz, muss sich aber auch selbst an seine Regeln halten, was einen gravierenden Unterschied zur vorherigen Pionierphase darstellt. Nach Aristoteles sollte eine stabile Königsherrschaft so gestaltet sein, dass der König so viel Macht hat, dass er jedem Einzelnen und einer Gruppe überlegen ist, ihm jedoch weniger Macht zukommt als der Gemeinschaft insgesamt. Ein Beispiel für dieses Phänomen in Unternehmen dieser Phase ist die Existenz und Bedeutung von Gewerkschaften, die alleine zwar weniger mächtig als die Arbeitgeber sind, durch das Streikrecht gemeinsam jedoch mehr Macht haben. Streiks gibt es insgesamt am ehesten in dieser Phase, in der der Rolle der Mitarbeitenden strukturell der Blick fürs Ganze fehlt. In allen folgenden Phasen sind die Mitarbeiter enger in das Unternehmen eingebunden, sind selbstständiger in der Entscheidungsfindung, sodass von Mitarbeitern ausgehende Veränderungen auch ohne Streik herbeigeführt werden können.
Die Königsherrschaft gehört nach Aristoteles zu den guten und richtigen Staatsverfassungen, er empfiehlt aber zu überlegen, „ob nicht eine andere Staatsverfassung für die Gemeinschaft nützlicher ist“. Da wo der Staat „aus Gleichen zusammengesetzt“ ist, erachtet Aristoteles eine Königsherrschaft nicht als angemessen, „Denn für die von Natur aus gleichen, müsse es das gleiche Recht geben und die gleiche Würde, und für die „von Natur aus Ungleichen, ein unterschiedliches Recht“. Es sei für „Gleiche von Natur aus“ gerecht, wenn sie nicht in höherem Maße herrschen oder beherrscht werden als andere. Deshalb solle man sich in der Herrschaft abwechseln, dies ist jedoch bereits ein Gesetz, das die Königsherrschaft überwindet.
Diese Unternehmensphase ist gemäß Aristoteles also dann sinnvoll, wenn die situative Kompetenz der Mitarbeiter für die selbstständige Entscheidungsfindung nicht reicht. Wenn sich diese Kompetenz bildet, deutet sich die Krise dieser Phase und eine zukünftige stärkere Beteiligung der Mitarbeiter an.
Gemäß Aristoteles ist die nächstgelegene Alternative zu der von ihm beschriebenen Königsherrschaft die Aristokratie. In einer Aristokratie nach Aristoteles werden die Ehrenränge nach Tugend und Würde verliehen. Die Aristokratie ist also eine Staatsverfassung, in der die „tugendhaftesten Männer als Entscheider gewählt werden“. Falls es mehrere „tugendhafte Menschen“ gibt, dann sei die Aristokratie für die Staaten geeigneter als die Königsherrschaft. Wenn man die Aristokratie auf Unternehmen überträgt, müssten gewählte Experten als Abteilungsleiter die wichtigen Entscheidungen im Unternehmen treffen. Im Sinne der Aristokratie wäre, wenn diese Abteilungsleiter nicht von oben bestimmt, sondern von Mitarbeitenden gewählt würden. So, wie es auch Laloux für „Grüne“ Unternehmen beschrieben hat.
Aristoteles beschrieb eine der Hierarchiefreien-Phase vergleichbare Staatsform mit der Politie.
Für eine Politie erklärt Aristoteles, dass man die Ämter wählbar macht, die Wählbarkeit aber nicht von der Vermögensklasse abhängt. Die Bürger, die „zwar rechtschaffen, doch ohne Auszeichnung in der Tugend“ sind, möchte Aristoteles an den höchsten Staatsämtern teilhaben lassen. Dies berge die Unsicherheit, dass sie „hier wohl Unrecht tun und dort Fehler begehen, ihnen aber kein Recht zu überantworten und sie daran nicht teilhaben zu lassen“ findet er „furchteinflößend“.
Diese Situation entspricht den Beschreibungen der von Laloux dargestellten Unternehmen, bei denen ein Mitarbeiter wichtige Fragen nicht alleine entscheiden soll, sondern ein Beratungsprozess vorgeschaltet ist. Die Beteiligung der einfachen Bürger an den Entscheidungsprozessen erklärt Aristoteles so: „Wenn es nämlich viele Ehrlose und Arme gibt, ist dieser Staat notwendig voll von Feinden“. So erscheint für Aristoteles sinnvoll, dass die Bürger am Beraten und Beurteilen beteiligt werden. Einzeln herrschen lassen will er sie nicht, „wenn sie aber zusammenkommen, haben sie einen gemeinsamen Sinn“. Weil sich in der Gruppe die Einsicht der Einzelnen ergänze, würden sie „wie ein einzelner Mensch“, so könne die Einsicht der Masse größer sein als die der Besten.
In einem weiteren Punkt sieht er die Menge gegenüber den Einzelnen im Vorteil: „Der Fachkenner entscheidet nicht alleine am besten, nämlich da, wo diejenigen die nicht über die Kunst verfügen, aber trotzdem die Werke verstehen“. Dort urteile der Nutzer besser: „Wie es etwa auch nicht nur Sache dessen ist, der ein Haus baut, zu verstehen, vielmehr wird es der, der es in Gebrauch nimmt, besser beurteilen, es gebraucht aber der Hausverwalter“. So schreibt Aristoteles, dass „nicht der Richter, nicht der Ratsherr, nicht das Mitglied der Volksversammlung“ Entscheidungen treffen solle, sondern ein Amt, also das Gericht, die Ratsversammlung und die Volksversammlung. Die Volksmenge sieht Aristoteles in der Verantwortung, dort zu handeln, wo das Gesetz es notwendigerweise auslasse. Nach hinreichender Unterweisung solle man es den Beamten überlassen, das Übrige in gerechter Einsicht zu beurteilen und zu verwalten. In einer Betriebsversammlung also die Fragen von niederer Bedeutung zu besprechen, ist demnach in dieser Phase nicht im Sinne von Aristoteles.
Die von Aristoteles beschriebene Demokratie ist mit der Situation der Schenkungsphase vergleichbar. Eine Demokratie beschreibt er als eine Staatsverfassung, in der Freiheit und Gleichheit herrschen. Deshalb solle es eine Demokratie am besten dort geben, wo alle zusammen gemeinsam an der Staatsverfassung teilhaben und weder die Mittellosen noch die Wohlhabenden hervorragen oder eine von ihnen die entscheidende Instanz bilden. Es sei demokratisch, die zu vergebenen Ämter durch das Los zu wählen. Außerdem sei demokratisch, dass die Wahl nicht von einer „Vermögensklasse“ abhängt. Das bedeutet, alle Beteiligten zu individuellen Entscheidern zu machen und dass diese Entscheidungsbefugnis auch unabhängig von den Fähigkeiten einer Person ist. Also eine Situation, die mit der Art der Zusammenarbeit bei Wikipedia vergleichbar ist.