Organisationen der Schenkungsphase machen „Peer-Production“ ohne Gegenleistung. In diesen „Peer-Production-Communities“ ist die Mitarbeit freiwillig und unentgeltlich. Freiwillig insofern, als Menschen sich beteiligen, weil sie es wollen und können. Niemand erteilt jemandem einen Auftrag. Es ist eine selbstorganisierte «Nicht-Markt-Organisation»: Eine Organisation, die nicht in erster Linie am ökonomischen Erfolg interessiert ist und deren erweiterter Mitgliederkreis außer-ökonomisch motiviert ist.
Luethi und Osterloh (2010) charakterisieren diese Unternehmen am Beispiel von Wikipedia: „Wikipedia setzt die Motivation seiner Autoren voraus, freiwillig und ohne monetäre Belohnung zum Projekt beizutragen“. Standardisierte Aufgabenbereiche, Karrierepfade oder Pflichtaufgaben gäbe es keine, „trotzdem scheitert das Projekt nicht daran, dass bestimmte, unpopuläre Tätigkeiten unerledigt bleiben“.
Der Verzicht auf die Gegenleistung, bedeutet eine nochmals veränderte Situation gegenüber der Stakeholderphase. Diese Phase bezeichne ich deshalb als „Reinventing Business Phase“ oder auch „Schenkungsphase“. Insofern könnte man vom Übergang von der „Tauschwirtschaft“ in die „Schenkwirtschaft“ oder „Geschenkökonomie“ sprechen, die von Siebert (2014) wie folgt definiert wurde: „Die Geschenkökonomie ist eine Wirtschaftsform, welche auf bedingungslosem, freiwilligen Geben und Nehmen beruht“.
Zahn et. al. (2008) beschreiben Organisationen dieser Phase als:
„dezentrale Systeme - Organisationen ohne eindeutiges Machtzentrum, d. h. ohne Chef, ohne Hierarchie und eine Zentrale. Führer treten hier nur temporär auf, z. B. durch ihr vorbildliches Verhalten. Sie beeinflussen die anderen nicht aufgrund einer Machtposition, sondern aufgrund ihrer Wesensart. Zudem wollen die anderen dem Führer folgen und zwar ohne Zwang“.
Die nächste Organisation sei ein „offener Leistungsverbund und sucht sich ihre Ziele. Diese sind dabei gleichzeitig Motivationsangebote an ihre Mitglieder, die freiwillig entscheiden, ob sie Teil der Organisation sind, also an einem Projekt teilnehmen, oder nicht“.
Das Phänomen Wikipedia ist ein Paradebeispiel für diese neue Unternehmensphase und zudem sehr erfolgreich. So ist Wikipedia, gegründet 2001, heute weltweit auf Platz sechs der meist besuchten Websites. Die deutschsprachige Seite wird monatlich über eine Milliarde mal besucht. Die Artikel werden von unentgeltlich arbeitenden freiwilligen Autoren konzipiert, verfasst und nach dem Prinzip des kollaborativen Schreibens fortwährend gemeinschaftlich korrigiert, erweitert und aktualisiert. Die zentrale Koordination der Arbeit, wie in den vorherigen Phasen, gibt es in dieser Phase nicht mehr, sie ist zu einer dezentralen, individuellen Aufgabenergreifung geworden.
Am Beispiel von dem IT Hersteller Mozilla verdeutlichen Zahn et al. die Zusammenarbeit: „Diese freien Entwickler bilden ein Ökosystem und stellen ihre Add-ons kostenfrei zur Verfügung. [...] Wie groß letztlich die Organisation ist, die Mozilla-Produkte erzeugt, kann letztlich niemand sagen“. In einem Spiegel Interview von 2008 erklärt die Vorsitzende der Mozilla Stiftung Mitchel Baker die Bedeutung dieser Organisationsform: „Die Kraft der Freiwilligen ist mit einem Börsengang nicht zu bezahlen. [...] So eine Gemeinschaft kann man nicht kaufen“.
Diese Organisationsform ist nicht auf Unternehmen der IT-Branche beschränkt. So ist das erste Open-Source Auto schon entstanden und ein anderes das dezentral hergestellt werden kann. So titelte die Zeitung „Deutsche Mittelstands Nachrichten“ (2014): „Italiener entwickeln erstes Auto zum Selberbauen“. Sie erklärten:
„jeder Designer und jeder Bastler kann das Modell weiter entwickeln. Die Baupläne stehen bereits jetzt auf der Homepage zum Download bereit, die Montage ist kinderleicht. Man benötigt keine speziellen Werkzeuge und ist im Handumdrehen fertig.“
Eines der Modelle, der „Urban Tabby“, sei für den Straßenverkehr zugelassen und koste 4.000 bis 6.000 Euro. Bislang liege der Rekord für den Zusammenbau des Fahrzeugs bei 41 Minuten.
Tapscott und Williams (2006) sprachen zudem von der „globalen Fabrik“ als ein „Fab Lab“, ein Hightech-Computerarbeitsplatz mit Werkstatt, „in dem jeder erdenkliche Gegenstand von jedem Haushalt oder jeder Community selbst hergestellt werden könnte“. Dies würde wiederum die Art radikal verändern, wie wir produzieren, konsumieren und mit materiellen Gegenständen umgehen. Sie betonen, dass vieles daran noch unklar sei. „Sicher ist nur, dass es noch lange dauern wird, bis wir überhaupt wissen, ob die persönliche Produktion überhaupt möglich ist“.
Heute, neun Jahre später, sind 3D Drucker als dezentrale Produktionsstätte schon in vielen Unternehmen im Einsatz. So schätzt das Unternehmen Gartner, nach eigenen Angaben das weltweit führende Forschungsunternehmen für IT, dass der Verkauf von 3D Druckern exponentiell wachsen wird. Nach den erwarteten ca. 250.000 3D Druckern in 2015, rechnen sie für 2019 mit einer Verkaufszahl von jährlich über fünf Millionen Druckern.
Tapscott und Williams (2006) sehen die Wirtschaft vor einer großen Entwicklung: „Die Veränderungen schieben uns in eine neue Welt, in der Wissen, Macht und Produktionsfähigkeit stärker verteilt sein werden, als jemals zuvor in unserer Geschichte“. Der Spruch „Wir sind das Volk“ sei nicht länger nur ein politisches Statement, er sei eine zutreffende Beschreibung dafür, dass gewöhnliche Menschen „nun die Macht haben, neue Dinge auf den Weg zu bringen und auf der globalen Bühne Werte zu schaffen“. Für einzelne Menschen und Kleinproduzenten könne das der „Beginn einer neuen Ära sein, vielleicht sogar eines Goldenen Zeitalters, genauso bedeutend wie die italienische Renaissance und der Aufstieg der athenischen Demokratie“. Es entstünde eine neue ökonomische Demokratie „in der wir alle eine Führungsrolle einnehmen“. Tapscott und Williams sehen in dieser Entwicklung aber auch eine Gefahr: „Genau wie Scharen von Wissenschaftlern und Softwareprogrammierern an Projekten arbeiten können, die der Gesellschaft zugutekommen, können Kriminelle und Terroristen sich über das Internet verabreden und Chaos über unser Alltagsleben bringen“.
Aufgrund dieser großen Veränderungen in der Gesellschaft erwarten Tapscott und Williams, dass wenn wir in zwanzig Jahren zurück blicken, wir
„einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte unserer Wirtschaft und Gesellschaft erkennen. Wir werden verstehen, dass wir in ein neues Zeitalter eingetreten sind, das auf neuen Prinzipien, Ansichten und Geschäftsmodellen beruht, wo die Spielregeln sich grundlegend geändert haben“.
Die neuen Prinzipien seien „Offenheit, Gleichrangigkeit, Teilen und globales Handeln“. Die alten organisatorischen Werte, Fertigkeiten, Instrumente, Prozesse und Strukturen der „im Verschwinden begriffenen Kommandowirtschaft“ seien nicht einfach überholt, sondern würden sogar die Wertschöpfung behindern.
Sie gehen auch auf die Frage ein, wem denn der entstandene Wert gehört und stellen die Frage: „Ist die Kultur der Großzügigkeit vielleicht eine Nebelwand, hinter der sich letztlich nur Ausbeutung verbirgt?“. Zur Beantwortung zitieren sie den Blogger Om Malik:
„Wir werden als ausgelagerte Arbeitskräfte, als das Kollektiv, in Anspruch genommen, obwohl bis heute unklar ist, welchen Lohn wir dafür bekommen. Während wir von unserer kollektiven Anstrengung vielleicht etwas haben, spricht vieles dafür, dass diese kollektive Anstrengung den Wert des Unternehmens steigern wird. Werden sie uns an ihrer Wertsteigerung beteiligen? Unwahrscheinlich!“.
Tapscott und Williams (2006) sind der Ansicht, dass es zu weitgehend ist, von Ausbeutung zu sprechen, aber konstatieren: „die Reflexion über die Geschäftsmodelle schafft es nicht, mit den schnellen Innovationen Schritt zu halten“. So zitieren sie auch den Blogger und Medienberater Jeff Jarvis: „Und wem gehört die gesammelte Weisheit der Vielen? Offensichtlich den Vielen. Plattformen borgen sie sich nur aus“. Nach der Logik von Tapscott und Williams müsste die Leistung der Menschen als ein Geschenk an die Gesellschaft betrachtet werden.
Wenn die Menschen in dieser Phase kein Einkommen aus ihrer Arbeit mehr haben, müssen sie ihr Recht auf Teilhabe an den Leistungen aus anderer Quelle bekommen. Entweder, wie bei Wikipedia, durch freien Zugang oder durch eine sonstige Zugangsberechtigung. Ein Beispiel mit einer finanziellen Zugangsberechtigung, hat Götz W. Werner (2007) mit dem „Bedingungslosen Grundeinkommen“ in seinem Buch „Einkommen für alle“ beschrieben. Dieses auf den ersten Blick erstaunliche Instrument der staatlichen Transferleistung gewann schnell an gesellschaftlicher Bedeutung in Europa, so gab es in Deutschland verschiedene Parteitagsdiskussionen dazu - die Grünen stimmten in Baden-Württemberg dafür, lehnten es auf Bundesebene aber ab. In der Schweiz wurde am 5. Juni 2016 über die Einführung des Grundeinkommens abgestimmt. In Finnland soll es laut Koalitionsvertrag 2017 getestet werden.
In der Schenkungsphase handelt es sich um eine bedeutende gesellschaftliche Veränderung. Das bisherige Steuermodell mit Einkommenssteuer, aber auch Umsatzsteuer ist - wie bei Wikipedia - ohne Einkommen und Umsatz nicht mehr passend. Es scheitert in vielen Fällen bereits in der vorherigen Phase, weil sich die Arbeit schon da in die steuerlich nicht erfasste „Nachbarschaftshilfe“ oder sonstige Graubereiche verlagert. Die steuerlichen und rechtlichen Probleme werden bereits jetzt deutlich, bei all meinen Beispielen der Stakeholder-Phase wie eBay, airbnb oder Uber. Der Taxidienst Uber wurde in Deutschland sogar verboten. In der Schenkungsphase wird es noch schwieriger. Für Leistungen wie bei Wikipedia oder Couchsurfing ist eine Steuererhebung mit bisherigen Modellen mir nicht vorstellbar.
Aristoteles beschrieb eine ähnliche Situation mit der Demokratie.
Diese soziale Struktur im Unternehmen dieser Phase ist mit dem Alter eines Menschen vor dem Tod vergleichbar.
Die von mir berücksichtigten Autoren haben meinem Verständnis nach keine spätere Phase als die Schenkungsphase beschrieben. Insofern ist es schwierig eine Krise der Schenkungsphase vorherzusagen, trotzdem wird auch auf diese Phase eine weitere folgen. Wann sich die Schenkungsphase in der Breite durchsetzt und wie sich die Gesellschaft dann verändert, ist für mich aufgrund der großen Komplexität nicht vorhersehbar.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Grenzen eines Netzwerkes die Logik dieser Phase nicht einengen und es so im Netzwerk zu einer Sinnkrise kommt. Am Beispiel von Wikipedia erklärt: Warum sollte die Erfassung des Weltwissens auf den von Wikipedia gesetzten Rahmen von Text und Bild beschränken? Vielleicht würden auch Videos oder Audios oder weitere Blickwinkel hilfreich sein. Damit Wikipedia seine eigene Vision weiter verfolgen kann, könnte Wikipedia sich selbst abschaffen und sich in eine noch breitere Basis für Weltwissen integrieren. Ein Beispiel könnten Suchmaschinen sein wie google search.